Leitbild


Einige Gedanken über die Beweggründe für dieses Projekt

 

Wir haben Wissenschaft, aber wenig Weisheit, Technologie, aber kaum geistige Innovation, Industrie, aber nur wenig Ökologie, Demokratie, aber nur magere Moral, Sozialismus, aber keine Solidarität, Individualismus, aber keinen inneren Frieden.. Die modernen Grossideologien, die in der Vergangenheit als Quasi-Religionen funktionierten, haben für viele als sinngebende Instanzen ausgewirtschaftet.

 

Es existiert ein Sinnvakuum - wir leben darum in einer Zeit, in der ein neues Makroparadigma gesucht wird. Neu bedeutet: Es muss den divergierenden und komplexen menschlichen Bedürfnissen gerecht werden und zu einer entsprechenden Lebenspraxis verhelfen. Das ist bisher immer nur ansatzweise und mit Akzentsetzungen gelungen, die sich durch eine Pendelbewegung auszeichneten. Entweder standen die Gemeinschaft und für alle gültige Werte im Vordergrund, deren Durchsetzung die Freiheiten des einzelnen einschränken. Oder der Fokus lag auf dem Individuum und der Befriedigung seiner wachsenden Ansprüche, welche die Bedeutung des Kollektivs und seiner Prinzipien relativierten. Analog wurde der Bezug zum Metaphysischen geregelt: Wie und woran genau zu glauben sei, wurde entweder mehr oder weniger detailliert vorgeschrieben oder dann dem einzelnen überlassen. Ein neues Paradigma müsste demnach das Polarisierende der Akzente aufheben, Vielfalt und Verbindlichkeit gleichermassen berücksichtigen und den Wunsch nach persönlicher Bestimmung ebenso ernst nehmen wie das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeitsgefühl.

 

Beide Prioritäten wären insbesondere im religiösen Rahmen zu setzen und zu verfolgen, in ausgerechnet dem Bereich also, in dem Aus- und Abgrenzungen bis heute die Regel sind. Dabei hat nichts Religionen mehr diskreditiert, als die Anfälligkeit ihrer Mitglieder, ihren Glauben anderen aufzuzwingen respektive Andersgläubige auszugrenzen und zu unterdrücken. Zwar zeigt der interreligiöse Dialog endlich Wirkung, aber auch er scheint einer Pendelbewegung unterworfen. Auf Zeiten der Öffnung folgen Perioden der Abschottung, und vor allem gibt man sich innerhalb ein und derselben Religion immer noch weit weniger aufgeschlossen als im Austausch mit einer völlig fremden Glaubensrichtung.

 

Auf diese bedrohliche und schädliche Neigung möchten wir mit der Einrichtung einer kleinen spirituellen Gemeinschaft reagieren, die sich nicht institutionell oder konfessionell definiert, sondern Zusammenleben in einer Vielheit heterogener Lebensentwürfe anstrebt. Ähnliche Gemeinschaften existieren bereits in vielen Ländern und im Rahmen verschiedener Religionen, nicht aber innerhalb der Vaishnava-Welt, der Tradition des theistischen Hinduismus.

 

 

 

Unsere Vision

Der Geist des Sanatan-dharma bedeutet Integrierung und nicht Ausschliessung.

Identität entwickelt sich dort, wo man sich auf das Fremde einlässt und sich versuchsweise vom Übernommenen distanziert. Darum ist die Angst, Begegnung mit fremden Religionen führe weg von der eigenen Spiritualität, unbegründet. Durch interreligiöses und interkulturelles Lernen und Kommunizieren wird am Fremden Eigenes wahrgenommen und bewusst; eigenes wird differenziert, erweitert und geklärt. Eigentlich ist eine günstigere und ergiebigere Lernsituation kaum vorstellbar.

 

Heute religiös zu sein heisst interreligiös zu sein. Das ist der Geist des Sanatan Dharma, der Transreligiösität. Wenn die Vielfalt der Wege von Gott gewollt sind, dann geht es in der Begegnung der Religionen und auch innerhalb der Gaudiya Vaishnavas um mehr als nur "Freundlichkeiten" auszutauschen.

 

"Weshalb bist du neidisch und aufgebracht über jene, die eine andere Form der Verehrung haben? Es gibt Unterschiede in Personen, Orten und Ländern. Einige tätigen die Verehrung in einem Lendenschurz oder nur einem Tuch bekleidet, während andere es in Königskleidern tun. Einige beten gebückt, andere tanzend. Jemand ehrt das Brahman (die leuchtende Ausstrahlung Gottes) mit geschlossenen Augen, andere sitzen in einer yogischen Körperhaltung während andere absorbiert sind in die Heiligen Gottesnamen (sankirtan). Aber sie alle verehren Ihn, den Ruheort aller Opulenzen, Sri Krishna. Deswegen, in der Stimmung einer Geschwisterlichkeit, sollten wir alle miteinander kooperieren. Im Leben und im Tod einfach Ihm dienen." (4. Kapitel des "Prema Pradipa" von Srila Bhaktivinoda Thakura)

 

Mit welchem Recht betrachten wir die eigene spirituelle Tradition als etwas Abgeschlossenes? Gerade die indische Tradition betont doch immer wieder auch die mündliche Tradition, und nicht nur das geschriebene Wort. Müssten wir nicht vermehrt den Glaubensgeschwistern begegnen und uns von ihnen herausfordern lassen? Weshalb bringen wir uns in einen offenen Austausch und Dialog, eine Begegnung mit den Erfahrungen des anderen, nicht überzeugender ein? Darf ich es als "etwas Anderes" gelten lassen? Zumindest darf ich mich von der Andersartigkeit bereichern lassen.

 

Nicht nur der inter-, aber auch der intra-religiöse Dialog befruchten. Wir haben staunenderweise immer wieder beobachtet, wie die Angst vor dem intrareligiösen Dialog fast noch grösser ist.

 

Voltaire soll einmal gesagt haben, bei nur einer Religion bestehe die Gefahr des Totalitarismus, bei zweien die Gefahr des Konfliktes, bei drei und mehr Religionen die Chance der Harmonie.

 

In der Begegnung mit anderen Religionen sollten wir die Haltung einnehmen, die Gott von Moses verlangt hat: "Ziehe deine Schuhe aus, du betrittst heiligen Boden."

 

Interspiritualität ist Sanatan Dharma.

 

Wenn nun diese Ansätze konkretisiert appliziert werden, ergibt sich unsere Vision für einen freien Vaishnava-Ashram.

 - In unserem Ashram wollen wir die universellen, nichtsektiererischen Prinzipien der Gaudiya-vaishnavas leben. (siehe die "Botschaft der Veden“ auf www.radhe.ch - Philosophie)

 - Es soll ein Ashram sein, der nicht nach aussen gerichtet ist und apologetisch in der Welt wirken möchte, sondern als kontemplative Stätte den Bewohnern und Besuchern eine Möglichkeit bieten, nach innen zu gehen, vom Recht eines jeden Lebewesens nach Innenkehr, gebrauch zu machen.

 - Wir wollen nicht institutionell bevormundet sein - also völlig autonom und autark. Erst in einer dogmafreien Atmosphäre, jenseits von Zwängen, kann sich echte Gottesliebe entfalten."Freiwillige Bemühung ist die einzige Qualifikation für spirituelle Vollkommenheit." Srila Prabhupada in seinem Bhagavatam-tika 3.9.38

 - Dieser Geist ermöglicht Philosophie, das aufrichtige Suchen nach Wahrheit, was das Betrachten der Viel – und Anders-heit miteinschliesst. Das Nachfolgen eingefrorener Strukturen widerspricht dem Geist der Wahrheitssuche (siehe SB 2.9.36)

 - Der Ashram soll allen eine Zufluchtstätte sein und auch Unterkunft bieten. Er ist eine Basis, liebevollen Austausch zwischen Vaishnavas zu fördern, was gemäss Upadesamrta die Ursache von Bhakti ist.

 - Wir wollen nicht Guru-zentriert sein. Es soll kein Guru-Monopol existieren. Das heisst, wir laden Vaishnavas von allen Richtungen und Sampradayas ein. Auch wollen wir offen sein für andere Religionen. Und wir wollen keinerlei Bevormundung in der Wahl (oder eben auch Nichtwahl) eines spirituellen Mentors.

 - Wir vertreten nicht dogmatisch die Lehre eines Acaryas sondern anerkennen die verschiedenen Stimmungen innerhalb des Gaudiya Vaishnavatums.

 - Diese Freiheit soll wirklich allen eingestanden werden. Wir wollen gemeinsam Radha-Krishna verehren und nicht von Gruppen-Mechanismen aufgehalten werden.

 - Wir erachten unsere Mitglieder als mündig, d.h. der Sanatana Dharma Verein gibt keine Stellungnahme zu philosophischen Disputen ab; jeder wird aufgefordert sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und sich allenfalls an eigene Shiksha-gurus oder Vertrauenspersonen zu wenden, wenn er die Integration verschiedener Konzepte nicht bewältigen kann.

 - Die völlige Gleichstellung der Geschlechter und einen geschwisterlichen Umgang untereinander betrachten wir als Grundlage spirituellen Austausches (im Sinne von BG 5.18). Denn erst in der Versöhntheit im Menschlichen wird Transzendenz fühlbar.

 

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